Es gab das Gerücht, die italienische Mafia habe wegen des Todes von Emanuele ein Kopfgeld in Höhe von einer Million Mark auf Degowski und Rösner ausgesetzt. Wissen Sie was davon?

Ich weiß nur von dem Gerücht, das in Knastkreisen kursierte. Und das hat uns veranlasst, Schutzmaßnahmen für die beiden zu ergreifen. Wir haben sie also nicht am normalen Freigang, der am Tag eine Stunde umfasst, teilnehmen lassen, weil wir in Sorge waren, denen könnte was zustoßen. Wir haben das dann kompensiert und haben gefragt: Was können wir für euch stattdessen tun? Rösner sagte, er hätte gern eine Extraportion Kaffee.  Das ist eigentlich reglementiert für Untersuchungshäftlinge. Wir waren dann aber ganz großzügig. Er bekam praktisch so viel Kaffee, wie er wollte.

Es heißt, das Verhältnis zwischen Rösner und seinem Vater sei angespannt gewesen. Was wissen Sie davon?

Er hat einmal einen Brief von seinem Vater bekommen, den schreibt man nicht als Vater. Ich habe ihn davon in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten zu überlegen, ob er diesen Brief haben will. Er hätte ihn selbstverständlich bekommen. Aber dann hat er mir gesagt, er wolle den Brief nicht haben, ich solle ihn vernichten.

Der Journalist Udo Röbel stieg zu den Gangstern ins Auto. Wie bewerten Sie im Rückblick sein Verhalten?

Es ist durch Zeugen belegt, dass sich Rösner in Köln in einer bedrängten Situation sah. Dass Herr Röbel eingeschritten ist und dafür gesorgt hat, dass diese Situation aufgelöst wurde, hat in der Tat ein Blutbad verhindert. Denn ich weiß nicht, ob Rösner in der Situation nicht auf irgendeinen der Umstehenden geschossen hätte. Wir müssen immer bedenken, dass Rösner und Degowski unter der Einwirkung von Medikamenten standen. Sie waren enthemmt.

Wie gefährlich war die Situation Ihrer Einschätzung nach für die Geiseln? Degowski hielt Silke Bischoff die ganze Zeit den Revolver an den Hals.

So lange der Täter den Finger nicht in die Nähe des Abzugs bringt, geht das. Degowski hat uns gesagt, er habe zusätzlich noch den Daumen zwischen den Rahmen des Revolvers und den gespannten Hahn gelegt, also eine zusätzliche Sicherung eingebaut. Das wird wohl zutreffen. Aber wenn der Hahn gespannt ist, dann muss man nur daran denken abzuziehen, und er geht los.

Was hat dieser Prozess mit Ihnen persönlich gemacht?

Oh, ich bin ein richtiges Ekelpaket geworden. Beim Tennis habe ich zum Beispiel auf den Gegner gezielt. Das macht man nicht. Und meine beiden Töchter haben mir nach dem Ende des Prozesses gesagt: Jetzt können wir dir ja sagen, was du die ganze Zeit für ein Ekelpaket gewesen bist. Ich fühlte mich als Vorsitzender völlig allein und musste gegen eine Flut von Widerständen arbeiten.

Welche Auswirkungen hatte der Prozess auf andere Beteiligte?

Das war ziemlich anstrengend. Und das hat auch zu gesundheitlichen Verwerfungen geführt. Der erste Beisitzer ist sehr krank geworden und musste ausscheiden, sodass wir nachher nur noch zu dritt waren. Die Schöffen haben durchgehalten, aber der erste Berufsrichter ist krank geworden. Er ist dann ausgeschieden. Meine Sorge war immer, dass mir noch ein weiterer Berufsrichter krank würde. Und dann, wenn der endgültig krank würde, hätte der Prozess wieder von vorn beginnen müssen. Das wäre ein Albtraum gewesen.

Dieter Degowski ist Anfang des Jahres aus der Haft entlassen worden. Es gab den Reflex in der Öffentlichkeit, da sei jetzt ein Monster freigelassen worden. Was sagen Sie dazu?

Das wird wahrscheinlich an den vielen Fotos und Videos und Filmen liegen, die immer noch die ganze Geschichte lebendig machen. Wenn die nicht wären, dann würde heute kaum noch jemand darüber sprechen. Im Übrigen sind es keine Monster. Sie mögen sich so benommen haben, aber kein Mensch ist ein Monster. Ich habe auch eine Weile die Ansicht vertreten, es gibt das Böse im Menschen. Die Sachverständigen haben mir aber gesagt, dass ich irre. Ich bin jetzt geneigt, immer nur von Persönlichkeitsstörungen zu sprechen und nicht vom Bösen.

Auch Rösner strengt seine Freilassung an. Kann das gut gehen?

Wenn sie in Freiheit einigermaßen beschützt werden, müsste das gelingen. Rösner ist rational und selbstbeherrscht genug, um das hinzukriegen. Auch wenn er damals gesagt hat, so etwas würde er gewiss nicht noch mal machen. Gut, einen Supermarkt ja, aber so etwas wie Gladbeck nicht noch mal. Das hat ihm dann ja auch die Sicherungsverwahrung eingebracht. Aber die beiden sind ja nun älter geworden. Ich habe ihren Weg nicht verfolgen können, ich gehe davon aus, wenn die Vollstreckungskammer zu dem Ergebnis gekommen ist, von Degowski geht keine Gefahr mehr aus, dann wird das richtig sein. Und Ähnliches wird für Rösner gelten.

Wie kann Rösner mit seinen markanten Tätowierungen überhaupt resozialisiert werden?

Die sind wirklich bekannt, bekannter geht es gar nicht mehr. „Hate“ auf der einen Hand, „Love“ auf der anderen Seite. Wenn man die Ärmel hochkrempelt, sind die ganzen Unterarme tätowiert. Das streift man ja nicht so ab. Also eine Identität, ein neuer Name, das ist einfach. Alle anderen Äußerlichkeiten sind nicht so einfach. Vielleicht wird er erkannt. Aber er hat sich auch schon im Knast Respekt verschaffen können. Und das wird er dann vielleicht auch tun können.

Inwiefern hat er sich Respekt verschaffen können?

Wir gingen davon aus, dass er zum Beispiel den Schuss auf einen Polizeibeamten erfunden hat, nur um sich Respekt zu verschaffen. Wir haben ihm bewiesen, dass seine Darstellung, er habe auf einen SEK-Beamten in Bremen-Huckelriede geschossen, frei erfunden ist.

Das heißt, auch Rösnershat bewusst übertrieben?

Ja.

Der Cousin von Silke Bischoff, Anwalt Gerold Bischoff, geht bis heute davon aus, nicht Rösner, sondern Degowski habe seine Cousine erschossen. Was sagen Sie dazu?

Das Projektil ist aus Silke Bischoffs Körper herausgeholt worden. Wir haben dessen Weg bis zum Bundeskriminalamt verfolgt. Wir haben jeden Zeugen, der mit dem Projektil zu tun hatte, gehört. Und das Ergebnis ist eindeutig: Rösner hat auf Silke Bischoff geschossen. Degowski hatte einen rechtsgewundenen Revolver. Der Polizeibeamte, der neben der Leiche von Silke Bischoff stand und das Projektil in Empfang nahm, hat sofort gesehen: Linksdrall.

Es gab auch das Gerücht, ein SEK-Beamter habe geschossen, die Kugel sei von außen eingedrungen, die SEK-Beamten hätten vor dem Zugriff die Läufe ihrer Waffen ausgetauscht – gegen Waffen mit Linksdrall.

Wir haben auch das verfolgt, vom Rauswerfen der Waffe durch Rösner bis zur Untersuchung der Waffe. Alle Gerüchte sind widerlegt.

Hatten Sie das Gefühl, einige der verantwortlichen Polizisten hatten vor ihren Aussagen vor Gericht einen Maulkorb verpasst bekommen?

Also das Gefühl eines Maulkorbes hatte ich nicht. Die Polizeibeamten aus Bremen waren auch alle aussagewillig. Selbst diejenigen, die Frau Löblich kassiert hatten. Jedenfalls einer davon. Im Gegensatz dazu waren die Führungsbeamten aus Düsseldorf alle angezeigt worden. Auf Anraten ihrer Anwälte haben sie dann alle geschwiegen. Das ist ihr gutes Recht. Wenn sie angezeigt worden sind, sind sie Beschuldigte, und dann dürfen sie schweigen. Es ging dann immer nur um die Frage: Wie weit geht das Schweigerecht? Darüber kann man sich natürlich streiten.

Ist der Staat mit den Opfern und Hinterbliebenen vernünftig umgegangen?

Mit den Opfern ist nicht immer vernünftig umgegangen worden. Ich denke an die Familie aus Ceylon, die als erste den Ernst der Lage begriffen hatte, weil die in Ceylon schon mal so etwas erlebt hatten. Und der Sohn, der heute Arzt ist, ist in einer Fernsehsendung vor einiger Zeit aufgetreten und sagte eben, sie seien ja keine Deutschen gewesen. Deshalb hätten sie auch keinen Anspruch auf Entschädigung gehabt. Da hätte man doch durchaus was machen können damals.

Hätte sich der damalige Ministerpräsident Johannes Rau bei den Hinterbliebenen entschuldigen müssen?

Ja.

Was waren die größten Versäumnisse der Polizei?

Also wir haben festgestellt, dass das Verhalten der Polizei insgesamt vertretbar war. Selbstverständlich hätte man auch ganz anders handeln können. Aber es war vertretbar. Unsere Aufgabe bestand auch nicht darin, wie ein Untersuchungsausschuss das Verhalten der Polizei zu beleuchten. Wir sollten die Schuld der Angeklagten ausloten.

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