Als Udo Röbel die Wagentür zuschlägt, verstummen die Geräusche. Er sitzt jetzt neben Silke Bischoff auf der Rückbank. Durch den Stoff der Hose glaubt er ihren Pulsschlag zu spüren. Degowskis Colt lehnt am Hals von Silke Bischoff.

Das gesamte Kapitel als Audio:

Ines Voitle dreht sich weg, um ihren Peiniger nicht zu sehen. Die rechte Wange drückt sie gegen das kühle Glas des Autofensters. Zu viert sitzen sie auf der Rückbank. Es riecht es nach Schweiß und Bier.

 

 

Mit hektischen Gesten lotst Röbel den Wagen aus der Breiten Straße in Richtung Autobahn. Nervös fällt dem Reporter in aller Eile nur der viel weitere Weg stadtauswärts über die Zoobrücke ein. Rösner fährt, während Löblich auf dem Beifahrersitz kauert und längst alles nur noch über sich ergehen lässt, verwirrt durch Alkohol und Pillen. Das Autoradio läuft. Der WDR berichtet pausenlos live über die Vorgänge in Köln. Es ist der Moment, in dem Röbel realisiert, dass er nicht mehr unbeteiligt ist, nicht mehr frei und nur beobachtend, sondern mittendrin und gefangen. Im Gladbecker Geiseldrama gebe es eine neue Wendung, heißt es. Und dann nennt der Radiosprecher den Namen des Reporters, klar und deutlich: Udo Röbel. Der stellvertretende Chefredakteur des „Kölner Express“ sei mit ins Auto gestiegen. Auch Röbel befinde sich jetzt in der Gewalt der Geiselgangster. Die Staatsanwaltschaft wird ihm später vorwerfen, sich zum Handlanger der Täter gemacht zu haben.Zur gleichen Zeit schwankt die Stimmung in der Kölner Einsatzzentrale der Polizei zwischen Fassungslosigkeit und Entsetzen. Ist da wirklich gerade ein Journalist in den Gangsterwagen gestiegen? Kann das sein? Immer noch hetzen Dutzende Reporter mit Privatautos, Taxis und Kleinbussen hinter dem Fluchtwagen her. Eine wilde Verfolgungsjagd mitten durch die Kölner City beginnt. Einen Moment lang plant Kölns Kripochef Armin Mätzler, seit 11 Uhr Herr des Geschehens, durch gezielte Schüsse auf die Reifen den zügellosen Medientross zu stoppen. Doch die Lage ist zu unübersichtlich. Ein Zugriff in der Kölner Innenstadt wird durch den Pulk der Journalisten, die sämtliche Verkehrsregeln ignorieren und selbst rote Ampeln überfahren, unmöglich gemacht. „Was die Presse hier inszeniert, ist unvorstellbar“, meldet ein verzweifelter Beamter über Funk ins Lagezentrum. Und jetzt auch noch Röbel.

Zeit, um über die Konsequenzen seines Handelns nachzudenken, bleibt Röbel nicht. Fast hilflos fragt er bei Rösner nach, ob es nicht besser wäre, einfach aufzugeben. „Halt’s Maul, du Affe“, herrscht ihn Degowski an. Schlagartig ist es ruhig im Wagen. Röbel wird klar: Die mögliche Story seines Lebens bringt ihn in Lebensgefahr. Der BMW rollt stadtauswärts in Richtung Frankfurt.

Chaos und Kontrollverlust bestärken Einsatzleiter Mätzler und seinen Stellvertreter Winrich Granitzka in ihrem Entschluss, die Geiselnahme zu beenden. Mätzler findet es unerträglich, dass sie ausgerechnet in seinem Revier zu öffentlichem Theater ausartet und Polizisten zu hilflosen Statisten degradiert. Der Zugriff müsse schnell erfolgen, jetzt, noch auf der Autobahn, bevor die Gangster ein weiteres Mal in eine belebte Stadt einfahren können, womöglich in ein Krankenhaus, um die Schusswunde Löblichs zu versorgen.

Handschriftlich formuliert Granitzka im Einsatztagebuch, dass die Aktion, „sobald es möglich erscheint“, gestartet werden solle, selbst dann, „wenn Schusswaffen eingesetzt werden müssen und dabei Menschen zu Schaden kommen“. Alles Abwarten und Taktieren, die sensible Rücksichtnahme auf das Leben der Geiseln, bis dahin oberster Leitfaden der „nordrhein-westfälischen Linie“, werden verworfen. „Der Tod muss dabei…“, notiert Granitzka ein wenig fahrig. Dann bricht er ab, streicht den Satz durch und korrigiert: „Finaler Rettungsschuss eingeschlossen.“

Als Mätzler von irritierten Beamten in der Einsatzzentrale gefragt wird, was das für Silke Bischoff und Ines Voitle bedeuten könnte, antwortet der Kripo-Chef kühl, dass ein „Lebensrisiko für die Geiseln letztlich hinzunehmen“ sei. Es ist der Satz, der den letzten Akt im Geiseldrama einläutet.

„Wie im Tunnel“ – Udo Röbel im Interview

„Wie im Tunnel“ – Udo Röbel im Interview

Nach dem blutigen Ende des Geiseldramas setzt in Deutschland ein Sturm der Entrüstung ein. Die Öffentlichkeit ist entsetzt über das Versagen der Polizei. Und über das Fehlverhalten der Medien. Ein Interview mit Udo Röbel, damals stellvertretender Chefredakteur des Kölner „Express“, der zu den Geiselgangstern ins Auto gestiegen ist.

Die Akte: Funkverkehr der Polizei

Die Akte: Funkverkehr der Polizei

Das Funkprotokoll spiegelt den Zustand des SEK-Kommandos unmittelbar vor dem Zugriff wider.

Mätzler hält sein Team klein und die Befehlsstränge kurz. Dem zuständigen Staatsanwalt Karl Utermann (47) verwehrt er gegen dessen Protest den Zugang zum Führungsraum. Auch LKA-Beamte müssen draußen bleiben. Angeblich, so Mätzler, sei es dort zu eng, zu heiß und zu stickig. „Ich brauche keinen Berater, das stört nur, es sind ohnehin zu viele Leute hier.“

Um 12.49 Uhr passiert der BMW die Zoobrücke über den Rhein. Um 13.05 Uhr steuert Rösner das Fluchtfahrzeug am Autobahnkreuz Köln-Ost auf die A3 Richtung Frankfurt, immer noch verfolgt von Presse und Polizei. Degowski schreit Röbel an, er möge die Affen verscheuchen. Mit „Affen“ meint er Journalisten, die Röbel nun versucht, mit hektischen Handzeichen zum Abdrehen zu bewegen.

Silke Bischoff beginnt, am ganzen Körper zu zittern. Seit Stunden hält ihr Degowski den Colt an den Hals, den Finger ständig am Abzug. Röbel glaubt, Silke Bischoff werde die Tortur „noch maximal drei Stunden durchhalten“. Er bittet Degowski, den Colt für ein paar Minuten zur Seite zu legen. Doch der zeigt sich unerbittlich: „Halt die Schnauze.“

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