Nach dem blutigen Ende des Geiseldramas setzt in Deutschland ein Sturm der Entrüstung ein. Die Öffentlichkeit ist entsetzt über das Versagen der Polizei.

Und über das Fehlverhalten der Medien. Es wird vor allem mit einem Gesicht in Verbindung gebracht: mit dem von Udo Röbel, stellvertretender Chefredakteur der Kölner Boulevardzeitung „Express“, der zu den Geiselgangstern ins Auto gestiegen ist.

Auf Anraten seines Anwalts schweigt Röbel zunächst. Heute, 30 Jahre danach, sagt er: „Wir waren alle wie im Rausch. Wir haben alle jegliche Distanz verloren. Wir haben den Gangstern die Bühne bereitet, auf der sie so hemmungslos agieren konnten.“

 

Herr Röbel, hatten Sie nach dem Drama von Gladbeck Albträume?

Nein. Von Gladbeck habe ich nie geträumt. Dafür musste ich die Erfahrung machen, wie das ist, wenn man plötzlich selbst durch die Medienmangel gedreht wird – sogar von den eigenen Kollegen. Auch heute noch ist es schmerzlich für mich, von manchen in die Schablone des „Reporters des Satans“ gepresst zu werden.

Können Sie die Kritik gar nicht nachvollziehen?

Natürlich kann ich die Kritik nachvollziehen. Gladbeck war ein Verbrechen, bei dem innerhalb von drei Tagen enorm viel schiefgegangen ist. Man tat gut daran, das danach aufzuklären. Wie die Polizei haben auch die Medien damals eine zweifelhafte Rolle gespielt. Und ich war mittendrin.

Haben Sie Ihr Handeln jemals bereut?

Ja. Ich bin allerdings im Laufe der Jahre mit meinem „Läuterungsprozess“ durch drei Phasen gegangen. In Phase eins war ich ein wenig bockig. Ich konnte zunächst nicht begreifen, warum man so über mich herfiel. Ich hatte doch alles versucht, um den Geiseln zu helfen, so war meine Empfindung. In Phase zwei begann ich einzusehen, dass die Kritik an uns Journalisten insgesamt berechtigt war. Gleichzeitig nagten in mir Selbstzweifel, ob da vielleicht wirklich nur der sensationsgierige Reporter Röbel am Werk gewesen war und ich mir das andere nur schöngeredet hatte.

Konnten Sie mit Ihrer eigenen Rolle später Frieden finden?

Ja, aber erst Jahre später, nach einer Podiumsdiskussion in der Polizeiführungsakademie Hiltrup zum Thema Gladbeck. Neben mir saß Rudolf Esders, der Richter, der die Geiselgangster zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt hatte. Als ich begann, mich selbstkritisch zu äußern, fiel der mir plötzlich ins Wort: „Das ehrt Sie, Herr Röbel“, sagte er zu mir. „Aber in meinen Augen haben Sie damals ein Blutbad verhindert. Wenn Sie die Situation nicht beruhigt hätten, indem Sie die Gangster aus der Falle lotsten, in der sie saßen, wäre eine Katastrophe wohl unvermeidbar gewesen.“ Seitdem bin ich mit mir versöhnt.

Wie haben Sie den Beginn des Geiseldramas in der Kölner Innenstadt erlebt?

Zunächst: Fast nur durch Zufall. Normalerweise hätte ich wie mein Chefredakteur auch das ganze Drama in der Kölner Fußgängerzone wahrscheinlich aus sicherer Entfernung von der Büroterrasse unseres Verlegers aus beobachtet, wenn ich an diesem Morgen nicht schon so früh in der Redaktion gewesen wäre.

Wie haben wir das zu verstehen?

Ich muss vorausschicken, dass ich an diesem Morgen im August 1988 wohl einer der wenigen Menschen in der Republik gewesen war, die von dem Geiseldrama noch nichts mitbekommen hatten. Ich hatte zwei Tage freigehabt, kein Fernsehen geschaut, keine Nachrichten gehört und auch keine Zeitung gelesen. Ich war so urlaubsreif und platt von drei Wochen Dauerarbeit, dass ich eigentlich nur geschlafen habe. Meine Wohnung habe ich erst wieder an diesem Donnerstagmorgen verlassen. Schon sehr früh, weil ich eine Trainingsstunde bei meinem Tenniscoach hatte. Als ich aus der Dusche kam, habe ich im Frühstücksfernsehen gesehen, was inzwischen alles passiert war.

Und dann?

Bin ich gut gelaunt in die Redaktion gefahren. Um die Schlagzeile an diesem Tag musste ich mir keine Sorgen mehr machen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass just in dem Moment, als ich mein Auto auf dem Hinterhof unseres Verlagsgebäudes parkte, Rösner mit dem Geiselauto vor dem Pressehaus haltmachte. Noch völlig geflasht von den Fernsehbildern, die ich gerade gesehen hatte, bin ich dann hoch in die Redaktion gelaufen und dort als Erstes in den Raum mit den Fernschreibern, um die neuesten Meldungen der Nachrichtenagenturen zu lesen. In diesem Moment kommt unser Redaktionsbote dazu, und ich sage zu ihm: „Das ist ja ein wildes Ding, dieses Gladbeck!“ Und der sagt zu mir: „Ja. Die stehen gerade da unten und trinken Kaffee!“

Und dann?

Meine Reporter waren noch nicht da. Handys gab es damals noch keine. Aber ich war ja früher auch einmal Polizeireporter gewesen. Also bin ich selbst runter. Und tatsächlich: Keine 40 Meter vom Vordereingang entfernt standen sie. Alles ganz friedlich. Von Polizei weit und breit nichts zu sehen. Die Sonne lachte vom Himmel, und die wenigen Passanten, die um diese Uhrzeit unterwegs waren, bemerkten es noch gar nicht, dass sie da gerade an den Geiselgangstern vorbeischlenderten. Es war skurril.

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