Auch 30 Jahre nach Gladbeck halten sich hartnäckig Gerüchte, Silke Bischoff sei nicht von Hans-Jürgen Rösner erschossen worden. Silkes Cousin Gerold Bischoff, Anwalt in Hamburg und Vertreter der Nebenklage, ist bis heute davon überzeugt, nicht Rösner, sondern Dieter Degowski habe geschossen. Silkes Freundin Ines Voitle (heute Falk), die zum Zeitpunkt des Zugriffs als Geisel mit im Auto saß, will wissen, dass die tödliche Kugel aus einer Polizeiwaffe stammte. Sie selbst sei von einer Polizeikugel am Rücken verletzt worden.
Die Erklärung der Sicherheitskräfte, der Wagen sei durch Metallverstrebungen und dicke Verschalungen so gut vor Kugeln von außen geschützt gewesen, dass der tödliche Schuss nur aus dem BMW selbst habe stammen können, hält sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Verletzung für vorgeschoben (Audio Ines Voitle).
Rösners Verteidiger Rolf Bossi versuchte während des Prozesses zu belegen, die Metallsplitter, die im Herzen von Silke Bischoff gefunden worden seien, seien nicht Splitter der Armbanduhr des Mädchens gewesen, sondern Metallpartikel vom BMW. Seine Schlussfolgerung: Die Polizei habe Silke Bischoff erschossen. Zudem habe die Polizei vor dem Zugriff die Läufe ihrer Waffen ausgetauscht – von rechts- auf linksgewunden, so wie bei der Waffe Rösners (Faksimile).
18 Seiten widmet Richter Rudolf Esders in seiner ausführlichen Urteilsbegründung genau diesen Fragen und Vorwürfen. Esders kommt nach Abwägen aller Beweise und Indizien dann allerdings zu einer eindeutigen Aussage: „Das Schwurgericht ist überzeugt, daß Silke Bischoff durch einen Schuß aus der Pistole Rösners „Colt Government“ getötet worden ist, und daß Rösner selbst geschossen hat. (…) Das im Körper von Silke Bischoff gefundene Projektil stammt mit einer Unsicherheit von nur (2 x 10 -26) aus der Waffe Rösners (…).“ – also mit einer Unsicherheit von 0,00000000000000000000000001. (Urteil, Seiten 133-134)
Esders stützt sich auf ballistische Gutachten des Bundeskriminalamtes. Das tödliche Geschoss wurde demnach eindeutig aus einer Waffe abgefeuert, deren Lauf sechs Felder hatte und linksgewunden war, so wie die Colt-Pistole Rösners. „Die Waffen der Beamten hatten sämtliche Läufe mit Rechtsdrall.“ Esders ließ einen Vergleichsschuss abfeuern und das Projektil anschließend unter dem Mikroskop mathematisch mit dem tödlichen Projektil vergleichen. „Die Übereinstimmung beider Projektile war auf den in der Hauptverhandlung gezeigten Fotos offensichtlich: Alle Reliefe und Riefen auf den Feldern des Tatprojektils, dessen Fotos nur die eine Hälfte des Projektils zeigten, setzen sich praktisch vollständig auf den Fotos des Vergleichsprojektils fort, die die jeweils andere Hälfte des Projektils abbilden.“ Damit war eindeutig nachgewiesen, dass die tödliche Kugel aus der Waffe Rösners stammte, zumal mehrere Zeugen übereinstimmend unter Eid aussagten, die untersuchte Kugel stamme aus dem Körper von Silke Bischoff. Die untersuchten Metallsplitter konnten eindeutig der Armbanduhr des Mädchens zugeordnet werden – nicht der Außenhaut des Fahrzeugs.
Hat Rösner den Abzug der Pistole aus Reflex betätigt?
Rösner selbst sagte nach seiner Festnahme aus, er habe die Waffe während des Feuerwechsels nicht mehr aus der Hand gegeben. Zwei Beamte der Polizei konnten bezeugen, dass Rösner mit seiner Waffe in den hinteren Teil des Fluchtwagens zielte. Die Kugel drang aus einer Entfernung von zehn bis 15 Zentimetern Entfernung von links oben nach rechts unten in den Körper von Silke Bischoff ein. Die Untersuchungen zeigen, dass auch dies mit dem beobachteten Tathergang in Einklang zu bringen ist, da Silke Bischoff von hinten nach vorn mit dem Oberkörper zwischen die Vordersitze gezogen wurde. Im Urteil heißt es, dass selbst „ein parallel zum Erdboden fliegendes Geschoß die im Körper von Silke Bischoff festgestellte Schußrichtung habe nehmen können“. (Urteil, Seite 137) Auch das Abprallen der Kugel von einer der Metallstützen der vorderen Kopfstützen zieht einer der Gutachter in Betracht.
Die These, Degowski habe Silke Bischoff getötet, verwerfen die Sachverständigen. Sie halten es für „ausgeschlossen, daß die Schmauchspuren auf dem Uhrglas und dem Pullover Silke Bischoffs von den Schüssen des neben Silke Bischoff feuernden Degowski stammen. Die Schmauchspuren auf dem Uhrglas können nur direkt von einem direkt von vorne auf das Ziel verfeuerten Schuß stammen.“ (Urteil, Seite 139 – 140) Hinzu kommt, dass die Spurensicherung am Tatort links unter dem Fahrersitz die Hülse des tödlichen Projektils sicherstellen konnte – genau dort, wo Rösner saß.
Nicht beweisen konnte das Schwurgericht, dass Rösner den Schuss vorsätzlich auf Silke Bischoff abfeuerte. Richter Esders glaubt sogar, dass Rösner Mitleid mit dem Mädchen empfand. Wörtlich heißt es: „Das Schwurgericht kann deshalb letztlich nicht ausschließen, daß Rösner den Abzug der Pistole reflexartig betätigte, als ihn der Schuß aus der Waffe eines SEK-Beamten in den Oberschenkel traf.“ (Urteil, Seite 149)
Anders als Degowski, der für den Schuss auf Emanuele De Giorgi wegen Mordes verurteilt wird, verurteilt das Gericht Rösner „nur“ wegen mehrfachen versuchten Mordes.