Für Professor Arbab-Zadeh hat dieser Mann „den ersten Meilenstein“ für die weitere kriminelle Laufbahn von Rösner gelegt. „Man muss sich vergegenwärtigen, dass Rösner damals im Grunde noch nie in entscheidender Weise gelobt wurde oder irgendein Erfolgserlebnis erfahren hatte“, schreibt er in seinem Gutachten vom 13. Juli 1989. Und weiter: „Erst dieser Mann war es, der ihm beibrachte, wie er, ohne erwischt zu werden, in einem Kaufhaus Gegenstände entwendet und daraufhin von ihm überschwänglich Lob erntete. Rösner selbst hatte bei solchen Taten intensive Erfolgserlebnisse, die er bis dahin nicht kannte!“

Das Kind Rösner ist auf den Geschmack gekommen. Schon bald verschafft es sich seine „Erfolgserlebnisse“ auch ohne den Nachbarn, allein oder mit seinem späteren Komplizen Dieter Degowski. Beide gehen zu dieser Zeit auf eine Sonderschule. Beide sind noch strafunmündig. Seiner Strafe entgeht der junge Rösner trotzdem nicht. Denn irgendwann kommt der Tag, an dem er auch einmal erwischt werden muss. Und das ist wieder so ein Tag, an dem die Weichen im Gehirn des Kindes in eine verhängnisvolle Richtung gestellt werden.

„Eines Tages ließ ich in Woolworth ein Feuerzeug mitgehen“, erinnert sich Rösner in seinem Gespräch mit dem Gutachter. „Da habe ich Pech gehabt. Ich wurde erwischt, die Polizei hat mich nach Hause gebracht, vom Alten habe ich eine Tracht Prügel bezogen mit einem Gummischlauch, mit einem Strick und mit einem Gürtel oder so etwas Ähnlichem.“

Mit Prügel hat der junge Rösner gerechnet. Schläge mit dem Gummischlauch ist er inzwischen mehr als gewohnt. Doch neu ist, dass diesmal der Polizist zuschaut, wie ihn der Vater grün und blau schlägt. Und das nicht nur einmal, wenn man Rösner glauben mag. „So passierte es ein paarmal“, sagt er. „Der Polizist war ein Schwein. Der hatte immer Spaß daran, mich meinem Vater auszuliefern. Er stand dabei und schaute zu, wie ich Prügel bezog…“

Selbstwertgefühle durch Diebstahl – Demütigungen vor den Augen der Polizei. Für Professor Arbab-Zadeh haben die familiäre Situation und das soziale Umfeld das Kind Rösner „dahingehend geformt, dass es eine altersentsprechende sittliche Reife im Zusammenhang mit der Achtung vor fremden Eigentum nicht erfuhr“.

Und: „Wenn Rösner jeweils von Polizeibeamten nach Hause gebracht und von seinem Vater mit einem Gummischlauch oder anderen Gegenständen geprügelt wurde, begann er, zunächst Animositäten und später Hassgefühle auf Polizeibeamte zu entwickeln. Nachdem es dann auch noch dazu kam, dass er für Taten bestraft wurde, die er nach seiner subjektiven Meinung nicht begangen hatte, war seine Verachtung gegenüber der sozialen Ordnung charakterlich manifestiert und seine später eingetretene kriminelle Karriere vorprogrammiert.“

Von der Sonderschule ins Erziehungsheim, abgebrochene Lehre zum Bergmann, Hilfsarbeiterjobs, immer wieder neue Diebstähle, dann auch schon Einbrüche und erste Gewalttätigkeiten. Das Leben von Hans-Jürgen Rösner endet schon bald in einer Abwärtsspirale, die immer tiefer nach unten führt.

Mit 14 Jahren steht er das erste Mal vor Gericht und wird vom Amtsgericht Gladbeck zu zwei Wochen Jugendarrest verurteilt. Weitere Vorstrafen folgen. Raus aus dem Gefängnis, rein in das Gefängnis, schon bald ist er mehr in Gefangenschaft als draußen. Nur einmal macht er noch den Versuch, zurück in ein bürgerliches Leben zu finden.

Am 3. Februar 1981 heiratet er in der Justizvollzugsanstalt Werl Ursula H., die alleinerziehende Mutter eines Kindes. Doch all seine Hoffnungen, „die ganze Scheiße“ endlich hinter sich zu lassen, schwinden mit jedem Tag, den er im Gefängnis sitzt. All seine Bittschriften und Petitionen auf Haftunterbrechung oder Hafturlaub werden von der Justiz entweder erst gar nicht beantwortet oder abgelehnt.

Als Rösner schließlich aus der JVA Werl in die etwas offenere Vollzugsaußenstelle Ober/Ems verlegt wird, beschließt er, die Gelegenheit zu nutzen, um zu seiner Frau zu fliehen.

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