Marion Löblich ist verzweifelt. Nicht nur, dass ihr Mann sie betrogen hat. In den letzten Jahren haben sich auch Schulden in Höhe von 40.000 Mark angehäuft. Und dass ihr Mann sie nicht länger im gemeinsamen Haus wohnen lässt, wenn sie ihm die Trennung eröffnet, ist ihr auch klar. Immer öfter denkt sie jetzt an Selbstmord. Immer öfter nimmt sie Beruhigungstabletten – und immer öfter greift sie zur Flasche. Der einzige Mensch, mit dem sie über ihre Notlage reden kann, der ihr zuhört und sie versteht, ist der Mann, der seit einiger Zeit mit ihnen unter einem Dach wohnt: Hans-Jürgen Rösner.
Es ist Anfang 1987 und Rösner schon seit über vier Monaten auf der Flucht. Zuerst ist er bei einer seiner Schwestern untergetaucht. Jetzt hat ihm Ralf Löblich Unterschlupf gewährt. Beide haben gemeinsam schon Straftaten begangen. Beide sind enge Kumpel. Doch dann kommen sich Rösner und Marion Löblich immer näher…
Erst hätte sie Mitleid mit ihm gehabt, sagt Marion Löblich. Dann sei aus Sympathie Zuneigung geworden und daraus schließlich Liebe. Kurz darauf seien sie dann auch zum ersten Mal intim miteinander geworden.
Rösner ahnt, dass sie ihre Beziehung nicht lange geheim halten können vor Marions eifersüchtigem Ehemann. Als Marion Löblich dann auch noch den entscheidenden Schritt macht und ihrem Mann von ihren Trennungsabsichten erzählt, befürchtet Rösner, dass ihn Ralf Löblich aus Rache bei der Polizei verpfeifen wird. Hals über Kopf verlassen Rösner und Marion deshalb Gladbeck und versuchen zuerst in Bremen und dann in Münster bei Verwandten und Bekannten unterzukommen. Schließlich kehren sie wieder zurück nach Gladbeck, wo sich Rösner zum wiederholten Male in einem Krankenhaus wegen seiner Bandscheibe stationär behandeln lässt.
+++ Hintergrund: Das erste große Versagen der Polizei
Während Rösner im Krankenhaus liegt, sucht und findet Marion Löblich eine neue Wohnung in einem Hochhaus in der Berliner Straße 16. Dort baut sich Rösner nach seiner Genesung im Kinderzimmer ein Versteck, indem er einen Teil des Zimmers unauffällig durch eine Wand abtrennt. Den Einstieg in den so entstandenen Hohlraum kaschiert er durch einen Stollenschrank. Tagsüber hält er sich in der Wohnung auf und führt den Haushalt, in der Nacht geht er auf seine Raubzüge.
Bis zur Geiselnahme ist es jetzt noch ein Jahr. Marion Löblich arbeitet inzwischen als Halbtagskraft in einer Altenstation. Endlich scheint sie wieder eine Lebensperspektive zu haben. Und zum ersten Mal in ihrem Leben erlebt sie auch eine „sexuell erfüllte Partnerschaft“, wie sie später aussagt.
Bis Hans-Jürgen Rösner nach einigen Monaten sein anderes Gesicht zeigt: Plötzlich wird er jähzornig und gewalttätig. Plötzlich ist ihm „normaler“ Sex nicht mehr genug. Und immer öfter drängt er seiner Geliebten Alkohol und Tabletten auf, um sie zu enthemmen.
Marion Löblich, in den Augen der Gerichtsmediziner „eine labile und unberechenbare Persönlichkeit“ mit „Neigung zur Abhängigkeitshaltung“, verfällt Rösner immer mehr. Widerspruch beantwortet er mit einem Rambo-Messer, das er ihr an den Hals setzt: „Wenn ich dich nicht mehr habe, haben andere auch nichts mehr von dir!“ Schließlich lässt sie sich sogar auf Sexpartys ein, zu denen Rösner alte Kumpel und sogar seine Ex-Frau einlädt. Es erregt ihn, wenn seine neue Geliebte vor seinen Augen Sex mit ihnen hat.
Warum sie das alles über sich ergehen lässt, auch dass Rösner auf sie uriniert, wenn sie in der Badewanne sitzt, kann sie sich später nur damit erklären, dass sie von all dem Alkohol und den Tabletten nur noch wie in einem Nebel gelebt hätte. Daran, dass sie auch mit Degowski habe schlafen müssen, kann sie sich gar nicht mehr erinnern. Sie sei am nächsten Morgen mit einem „totalen Filmriss“ aufgewacht.
Rösner wird dazu später nur vier Worte sagen: „Sie war mir hörig!“
So hörig, dass Marion Löblich am Mittag des 16. August 1988 nur noch einen Gedanken hat: Was passiert mit meinem „Hanusch“?
Hals über Kopf verlässt sie mit ihrer Tochter Nicole die Wohnung in der Berliner Straße 16, taucht zuerst bei Rösners Schwester Renate, dann bei seiner Schwester Monika unter, wo sie darauf wartet, dass sich ihr Geliebter bei ihr meldet. Als Rösner in der Nacht mit seinen Geiseln vor der Tür steht, zögert sie keine Sekunde. Bereitwillig zieht sie die Gesichtsmaske über, die Rösner ihr mitgebracht hat und steigt zu ihm in das Fluchtauto.
Nicole und ihre beiden anderen Kinder wird sie nie wiedersehen…
Zurück zu Kapitel 1 – Der Banküberfall
Zurück zu Kapitel 2 – Flucht durch Deutschland
Zurück zu Kapitel 3 – Eskalation in Bremen
Zurück zu Kapitel 4 – Mord in Grundbergsee
Zurück zu Kapitel 5 – Chaos in Köln
Zurück zu Kapitel 6 – Der Zugriff