Insgesamt 45 vor der Geiselnahme begangene Straftaten listet die Gerichtsakte Rösner auf. Diebstähle, Einbrüche, bewaffnete Raubüberfälle, für die Rösner nach dem Geiseldrama erst gar nicht mehr angeklagt wird: Mehr als lebenslang mit anschließender Sicherheitsverwahrung wäre juristisch sowieso nicht möglich gewesen.

Die Liste dieser Straftaten ist trotzdem interessant. Denn sie zeigt, wie Rösner innerhalb eines noch nicht mal ganzen Jahres immer gewalttätiger und hemmungsloser wird. Wie er sich selbst den Boden bereitet für die unfassbaren Tage von Gladbeck.

Und noch eines macht diese Liste deutlich: Das immer noch rätselhafte Versagen der Polizei in Gladbeck. So viele Verbrechen in so kurzer Zeit und auf engstem Raum. So viele Mittäter und Mitwisser. So viele Spuren. Rösner hätte schon lange vor dem Überfall auf die Deutsche Bank aufgespürt und gestoppt werden müssen.

Wie alles begann:

25.9.1987

Rösner versucht mit einem unbekannten Mittäter in eine Gaststätte in der Martin-Luther-Straße 6 einzubrechen, bekommt aber das Türschloss nicht auf. Als im Flur Licht angeht, flüchten sie.

28.9.1987

Rösner versucht mit einem unbekannten Mittäter in einen Imbiss mit Spielautomaten in der Schwechater Straße 38 einzubrechen. Wieder bekommt Rösner das Schloss nicht auf.

1.10.1987

Rösner versucht zusammen mit Dieter Degowski in die Gaststätte Kleimann in der Hegestraße 89 einzubrechen. Durch ein aufgehebeltes Fenster gelangen sie in den Schankraum. Doch dort geht die Alarmanlage an. Wieder auf der Straße ruft Degowski aus Spaß die Polizei an und meldet den Einbruch. Beide beobachten dann feixend den Polizeieinsatz, ehe sie sich entfernen.

Im Oktober 1987 plant Rösner zum ersten Mal einen Coup, der mehr bringen soll als immer nur das Münzgeld aus aufgebrochenen Zigaretten- oder Spielautomaten. Zusammen mit seinem Komplizen Frank S. klettert er in nachts auf das Dach der Aldi-Filiale in der Hegestraße 38. Beide wollen durch die Lüftungsanlage in den Supermarkt eindringen, dort am Morgen den Filialleiter abpassen und ihn zwingen, den Tresor zu öffnen. Als sie das Gitter der Lüftung abschrauben, hören sie aber Stimmen und sehen Leute mit Taschenlampen kommen. Sie flüchten.

20.10.1987

Rösner und Degowski knacken das Zylinderschloss einer Stahltür, die den Schankraum der Gaststätte Reiß in der Voßstraße 21 sichert. Dort brechen sie alle Zigaretten- und Spielautomaten, die Musikbox sowie den Sparkasten der Stammgäste auf. Sie erbeuten rund 1400 Mark, die sie untereinander aufteilen.

16.11.1987

Rösner bricht in die Gaststätte Kajüte in der Hegestraße 89 ein. Er hebelt zwei Spielautomaten, einen Zigarettenautomaten, die Musikbox und den Sparkasten auf. Beute: rund 1600 Mark.

25.11.1987

Zusammen mit seiner neuen Freundin Marion Löblich und seinem Kumpel Frank S. dringt Rösner in die Trinkhalle Guntermann in der Kirchhellener Straße 69 ein. Die erbeuteten Zigaretten bringen sie in die Wohnung von Marion Löblich. Als Rösner dort feststellt, dass er am Tatort die Tasche mit seinem Einbruchswerkzeug liegen gelassen hat, fahren alle wieder zurück zur Trinkhalle, wo aber inzwischen schon die Polizei eingetroffen ist. Rösner und Frank S. können entkommen, Löblich wird geschnappt. Wegen Diebstahls wird sie am 26.4.1988 vom Amtsgericht Gladbeck unter Verwarnung mit Strafvorbehalt zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 Mark verurteilt. Es ist bis zum Geiseldrama ihre erste und einzige Vorstrafe.

30.11.1987

Rösner bricht in das Motel Berg in der Phoenixstraße 2–4 ein. Aus zwei Automaten erbeutet er rund 1000 Mark, von denen er 300 Mark dem Tippgeber abgibt.

9.12.1987

Rösner versucht erneut, in die Gaststätte Kajüte einzubrechen. Als er gerade dabei ist, die Hintertür aufzuhebeln, spricht ihn eine Frau dahinter an und er flüchtet.

11.12.1987

Rösner lässt sich mit einem Taxi zur Gaststätte Haus Mecke in der Dorstener Straße fahren, bricht ein und erbeutet rund 1100 Mark.

18.12.1987

Rösner und Frank S. wollen nun endlich an das große Geld. Aus abgeschnittenen Pulloverärmeln fertigen sie sich Gesichtsmasken und legen sich vor einer Aldi-Filiale auf die Lauer. Sie warten, bis der Geschäftsführer den Supermarkt abschließt. Mit vorgehaltenen Waffen zwingen sie ihn, wieder aus seinem Auto zu steigen und den Tresor der Filiale zu öffnen. Dann sperren sie ihn in seinem Büro ein. Die Beute von über 13.000 Mark teilen sie sich in der Wohnung von Marion Löblich. Von seinem Anteil kauft Rösner seiner Geliebten für 1800 Mark einen gebrauchten Ford Granada.

14.1.1988

Rösner und Frank S. passen nach Geschäftsschluss den Inhaber eines Edeka-Marktes in der Leineweberstraße 41 ab. Mit Waffengewalt zwingen sie ihn, die Alarmanlage abzuschalten und den Tresor zu öffnen. Die Beute in Höhe von 22.000 Mark wird wieder bei Marion Löblich geteilt. Von seinem Anteil tilgt Rösner die Schulden in Höhe von 4000 Mark, die er in der Szene für den Erwerb seiner Waffe gemacht hatte.

26.2.1988

Rösner und Frank S. überfallen den Inhaber des Edeka-Marktes ein zweites Mal. Zuerst dringen sie in seine Privatwohnung in einem Zweifamilienhaus in Kirchhellen ein, durchwühlen alle Schränke, finden aber nichts. Dann warten sie, bis er nach Hause kommt. Als der Mann die Spuren des Einbruchs sieht und die Polizei rufen will, zwingen sie ihn mit vorgehaltenen Pistolen, den Telefonhörer wieder aufzulegen und mit ihnen zurück in sein Geschäft zu fahren, um den Tresor zu öffnen. Ihre Beute diesmal: „nur“ 5000 Mark.

18.3.1988

„Nur“ 5000 Mark? Zum ersten Mal beschließen Rösner und Frank S., jetzt auch eine Bank zu überfallen. Durch ein Toilettenfenster steigen sie nachts in die Filiale der Stadtsparkasse Gladbeck in der Gonheide 57 ein. Dort warten sie im Keller, bis am Morgen die ersten Bankangestellten eintreffen. Doch die haben keinen Schlüssel für den Tresor. Als ein weiterer Angestellter eintrifft und durch die Glastür die beiden maskierten Männer sieht, rennt er davon und alarmiert die Polizei.

Nur mit knapp können Rösner und Frank S. entkommen. Sie verstecken sich in einem Gartengelände und hinter Bäumen in der Umgebung und warten ab, bis der Polizeieinsatz beendet ist.

Die Wege von Rösner und Frank trennen sich jetzt erst einmal. Rösner spürt zum ersten Mal so etwas wie Fahndungsdruck und nimmt in den nächsten Monaten lieber wieder einmal seine alte „Tätigkeit“ auf. Zusammen mit einem neuen Komplizen, dem Taxifahrer Klaus H., der auch immer für einen Tipp gut ist, bricht er wieder in Gaststätten, Trinkhallen oder Kioske ein und „begnügt“ sich mit Zigaretten und Münzgeld. Insgesamt 27-mal.

Bis im Juni 1988 Frank S. wieder auftaucht – und der erste Schuss fällt

Klaus H. hat ihnen den Tipp gegeben, dass der Inhaber der Spielhalle Fair Play in der Horster Straße 210 nachts sein Geschäft immer allein verlasse und die Einnahmen bei sich trage. Doch sie erwischen nur den Geschäftsführer, der vehement den Koffer in seiner Hand verteidigt, in dem sie viel Geld vermuten. Es kommt zu einem heftigen Gerangel, in dessen Verlauf Frank S. auf Aufforderung Rösners dem Mann mit seinem Revolver mehrmals auf den Kopf schlägt. Als der schon fast bewusstlos zu Boden sinkt, löst sich ein Schuss aus der Waffe, der glücklicherweise ins Leere geht. Ohne sich weiter um den blutüberströmten Mann zu ihren Füßen zu kümmern, ergreifen Rösner und Frank S. die Flucht.

Wieder ist bei Rösner eine Hemmschwelle gefallen. Nun hat er auch keine Skrupel mehr, eine Familie im Schlaf zu überfallen:

In der Nacht zum 11.6.1988 dringen er, Frank S. und ein unbekannter Mittäter in die Wohnung eines angeblichen Rauschgifthändlers ein, der dort mit Frau und Kind lebt. Sie fesseln das Paar und durchsuchen alle Räume. Auch das Kinderzimmer, in dem die kleine Tochter schläft. Mit 24.000 Mark Beute fährt sie Klaus H. mit seinem Taxi zur Wohnung von Marion Löblich.

30.6.1988

Rösner und Frank S. sind jetzt wieder obenauf. Erneut wollen sie es mit einem Banküberfall versuchen. Diesmal soll es die Filiale der Stadtsparkasse in der Hegestraße 91 sein. Und wieder ist es ihr Plan, dort einzudringen, am nächsten Morgen die Angestellten abzupassen und sie zu zwingen, den Tresor zu öffnen. Doch diesmal scheitern sie schon beim Versuch, die Fensterjalousien hochzuschieben. Rösner macht dabei so viel Lärm, dass eine Anwohnerin wach wird und die Polizei ruft.

Kurze Zeit später eröffnet Frank S. Rösner, dass er ein neues Leben ohne Straftaten beginnen und heiraten wolle. Rösner sei deshalb nicht mehr die richtige Gesellschaft für ihn.

Rösner ist gekränkt und so wütend, dass es zwischen den beiden zu einer tätlichen Auseinandersetzung kommt.

An die Stelle von Frank S. tritt nun Dieter Degowski