Für zwei Jahre arbeitet Degowski nun als Auslieferungsbeifahrer einer Brotfabrik an. Eine Arbeit, die ihm eigentlich gefällt. „Ich kam ganz gut mit den Leuten klar“, sagt er später. „Und der (sein Chef) hat gesehen, dass ich arbeiten konnte.“ Das Problem ist, dass Degowski noch keinen Führerschein hat und ihn auch einen haben wird. Trotzdem sind Autos seine große Leidenschaft. Allein oder mit Kumpeln beginnt er, Autos für Spritztouren zu stehlen, darunter auch den Lkw der Brotfirma – und wird immer wieder von der Polizei erwischt.

Autodiebstahl, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Trunkenheit am Steuer, Unfallflucht – die Liste seiner Vorstrafen summiert sich. Mit 19 Jahren muss Degowski zum ersten Mal für 18 Monate ins Gefängnis in die Justizvollzugsanstalt Herford. Hier, im geschlossenen Vollzug für Jugendliche, lernt er endlich Lesen und Schreiben.

Rösner und Degowski haben sich seit der Sonderschule mehr oder minder aus den Augen verloren. Doch 1983 kreuzen sich ihre Lebenswege wieder: in der Justizvollzugsanstalt Werl, wo sich beide für acht Monate eine Zelle teilen.

Als Degowski aus Werl entlassen wird, ist er 27 Jahre alt. Insgesamt zwei Jahre und zwei Monate seines Lebens hat er bis jetzt hinter Gittern verbracht. Und im Gegensatz zu Rösner scheint er daraus gelernt zu haben. Bis zur Geiselnahme 1988 tritt er straffällig nur noch zweimal in Erscheinung, beide Male wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr.

Degowski ist nach seiner Freilassung immer mehr in das Obdachlosenmilieu abgeglitten. Bis November 1983 lebt er zwar noch mit einer acht Jahre älteren Frau in deren Wohnung, doch als diese die Miete nicht mehr zahlen kann, steht er auf der Straße. Ab und zu kommt er noch für ein paar Tage bei Freunden und Verwandten unter. Wenn nicht, betrinkt er sich mit Obdachlosen und schläft seinen Rausch unter einer Brücke aus.

Doch noch einmal rappelt er sich wieder auf. Zusammen mit einem ehemaligen Mithäftling bezieht er eine Wohnung, die das Sozialamt bezahlt. Die 405 Mark, die er zusätzlich jeden Monat als Sozialhilfe erhält, gehen für Schnaps, Bier und Zigaretten drauf. Oder für Beruhigungstabletten. Speziell Vesparax, das ihm die Gefängnisärzte als Einschlafhilfe gegeben haben. In Verbindung mit Alkohol bewirkt es allerdings bei ihm genau das Gegenteil. Das Mittel macht ihn wach und klar im Kopf. Mit den Tabletten fühlt er sich stark und überlegen. Ohne sie erlebt er seine Umwelt „nur wie im Tran“.

Degowski ist zu diesem Zeitpunkt schon suchtkrank. Im Gegensatz zu Rösner hat er schon mit 15 Jahren angefangen zu trinken und zu rauchen. Ein Kasten Bier am Tag ist für ihn normal. Doch wie Rösner hat er harte Drogen stets vermieden, „vielleicht nur ein- oder zweimal gekifft“. Die Dealer von Gladbeck sucht er nur auf, wenn er kein Geld mehr für Alkohol und Tabletten hat. Denn Beruhigungsmittel gibt es bei denen umsonst, um „ihre Junkies“ bei der Stange zu halten.

Meist aber ist immer noch irgendwie Geld da. Besonders, wenn auch sein Mitbewohner und die anderen Trinker von der Straße ihre „Stütze“ bekommen haben. Die Wohnung von Degowski wird so immer mehr zum Anziehungspunkt für wüste Gelage, zum Treffpunkt von Menschen, die ganz unten angekommen sind. „Sozialer Mief“ wird Hans-Jürgen Rösner dazu sagen, als er ein paar Wochen vor der Geiselnahme wieder engeren Kontakt zu seinem ehemaligen Schulkameraden aufnimmt. „Willst du da nicht endlich raus?“

Rösner ist zu diesem Zeitpunkt immer enthemmter geworden. Seit Monaten begeht er zusammen mit zwei Komplizen immer neue Diebstähle, Einbrüche und Raubüberfälle, und er weiß, dass es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ihn die Polizei erwischt – und ihm nun sogar die Sicherheitsverwahrung droht. In seinem Kopf reift der Plan für den letzten großen Coup, der ihm den Start in ein neues, sorgenfreies Leben ermöglichen soll.

Dazu braucht er aber mindestens einen seiner bisherigen Komplizen. Doch die sind inzwischen abgesprungen. Zu gefährlich und zu gewalttätig sind ihnen die Raubzüge von Rösner mittlerweile geworden. Bleibt nur noch sein alter Schulfreund Degowski. Doch auch der sperrt sich. Selbst in seinem durch Alkohol und Pillen vernebelten Kopf ahnt er, dass ein Banküberfall eine Nummer zu groß für ihn ist.

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