Bereits nach einer Woche wird er dort aufgespürt und zurück nach Werl gebracht, wo er als Disziplinarstrafe zehn Tage in Einzelhaft verbüßen muss. Kurz darauf muss er wieder in den „Bunker“. Diesmal für drei Wochen, weil er für einen Mitgefangenen Haschisch in seiner Zelle versteckt hatte. Aus „reinem Gefallen“, wie er sagt. Aber mit der Folge, dass ihm das Amtsgericht Soest dafür noch einmal zusätzlich vier Monate Gefängnis auferlegt.

„H-A-S-S“ und „L-O-V-E“ hat sich der Strafgefangene Rösner auf die Fingerknöchel seiner Hände tätowieren lassen. Fortan kreisen seine Gedanken nur noch zwischen diesen beiden Spannungspolen. Und mit jedem Tag mehr in Einzelhaft rückt seine Hoffnung auf „Liebe“ in immer weitere Ferne. Dafür wächst sein „Hass“ auf die Justiz, die ihn in seinen Augen ungerecht behandelt und all seine Bemühungen, ein bürgerliches Leben mit Frau und Kindern zu führen, nicht sehen will.

Trotzdem will er noch einmal mit der Polizei und Justiz kooperieren. Er hilft den Behörden, den Gefangenen zu überführen, für den er die Drogen versteckt hat. Auch unter der Gefahr, dass er im Gefängnis nun als Verräter dasteht und Racheakte befürchten muss.

Auch die Anstaltsleitung in Werl sieht dieses Sicherheitsrisiko und lässt ihren Zeugen wieder in die Außenstelle Ober/Ems verlegen. Doch auch diese Chance, über einen etwas lockereren Strafvollzug zurück in ein normales Leben zu finden, nutzt Rösner nicht. Zu tief sitzt seine Angst, dass seine Ehefrau nicht mehr länger auf ihn warten will. Schon nach vier Tagen, am 7. Januar 1983, bricht er erneut aus.

Seine Befürchtungen bestätigen sich. Seine Frau will nichts mehr von ihm wissen. Rösner muss bei einem Bekannten untertauchen, wo er sich sechs Monate mit Autoreparaturen über Wasser zu halten versucht. Bis er am 6. Juli 1983 wieder verhaftet und in die JVA Gütersloh gebracht wird.

Rösner ist am Ende. Zum ersten Mal denkt er an Selbstmord und bittet, mit einem Psychologen sprechen zu können. Doch die Vollzugsbeamten in Gütersloh weisen ihn barsch ab: Hier gibt es keine Psychologen! Hier gibt es nur Arrest! „Ich saß völlig verzweifelt in meiner Einzelzelle“, wird Rösner sechs Jahre später Professor Arbab-Zadeh sagen. „Die Schweine haben mich fertiggemacht.“

Die Wut in Hans-Jürgen Rösner wächst. In der Nacht vor der Disziplinarverhandlung über seine neuerliche Flucht zerschlägt er die Fensterscheibe seiner Zelle. Aus den Glassplittern und einigen Rasierklingen sowie dem Schneideblatt einer Schere bastelt er sich zwei „Macheten“ und eine Art Stilett. Mit diesen Waffen, verborgen unter seiner Häftlingsjacke, betritt er am nächsten Morgen den Verhandlungsraum, das Zimmer des Anstaltsleiters.

Als ihm dort ein Oberregierungsrat verkündet, dass er für den Ausbruch noch einmal 14 Tage Arrest erhält, stürzt sich Rösner auf ihn und verletzt ihn im Bauch und an der rechten Wange. Auch die beiden Vollzugsbeamten, die ihn schließlich überwältigen, tragen Stich- und Schnittverletzungen davon.

Später wird Rösner seinem Gutachter erzählen, dass er ursprünglich vorgehabt hätte, mit diesen Waffen ein Gespräch mit einem Psychologen zu erzwingen. Dass er sie dann aber auf dem Weg zur Verhandlung in einer Toilette habe verschwinden lassen wollen. Dass ihn „die Schweine“ aber nicht in das WC gelassen hätten. Und dass er sich überhaupt nicht mehr richtig erklären könne, warum und wie es zu diesem Gewaltausbruch gekommen wäre…

Erinnerungslücken, Taten verdrängen, um Verständnis heischen, auch die andere Seite zu hören… wie ein roter Faden zieht sich dieses Muster durch fast alle Aussagen des Hans-Jürgen Rösner in den Akten von Gladbeck.

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