Manches klingt glaubhaft. Manches nicht. Und wie passt der „Hass“ auf seiner linken Hand zusammen mit dem Wort „Liebe“ auf seiner rechten? Wäre Rösner nach seiner Vorgeschichte überhaupt in der Lage gewesen, ein fürsorglicher, liebevoller Ehemann zu sein?
Seine Schwester Renate meint ja. „Er war der perfekte Hausmann“, sagt sie. Putzen sei sein Leben gewesen. „Wie ein Teufel“ habe er ihre Wohnung gereinigt, als er sich bei seiner letzten Flucht vorübergehend bei ihr versteckt habe. „Nur die Fenster nicht, damit ihn die Polizei nicht sieht.“
Auch Marion Löblich, seine Geliebte und Komplizin beim Gladbecker Geiseldrama, wird das später bestätigen: „Er führte sogar Haushaltsbuch, und von dem Geld, dass er bei seinen Raubzügen erbeutete, wurden erst einmal die Miete bezahlt, die Versicherungen, die Telefonrechnung und all die anderen monatlichen Ausgaben, die in einem Haushalt anfallen. Außerdem hat er sich rührend um meine damals 13-jährige Tochter gekümmert.“
Putzen wie der Teufel… Wie passt das zusammen mit dem „Satansbraten“, wie sich Rösner selbst schon als Kind gesehen hat, wie mit seinem ungepflegten und schmuddeligen Erscheinungsbild?
Psychologen sehen darin ein Indiz für verdrängte Schuldgefühle. Die fast schon zwanghafte Beseitigung von äußerem Schmutz steht symbolhaft für den Wunsch nach innerer Reinigung. Das schlechte Gewissen soll im wahrsten Sinne des Wortes reingewaschen werden.
Mit dem Angriff auf die Beamten in der JVA Gütersloh hat sich aber endgültig die andere Seite in Hans-Jürgen Rösner Bahn gebrochen: sein Hass auf die Gesellschaft. „Ich hasse euch alle!“ lässt er sich nun auch auf die Brust tätowieren. Und im August 1986, zwei Jahre vor der Geiselnahme in Gladbeck, verbaut er sich selbst jeden Weg zurück.
Während eines Hafturlaubs lässt er sich von einem ehemaligen Mithäftling nach Karlsruhe locken, wo angeblich „jede Menge Weiber, Geld und eine Wohnung“ auf ihn warten. Doch der Gefängniskumpan hat ihn belogen. Das Einzige, was er hat, ist ein schwerer englischer Armeerevolver, mit dem Rösner für ihn Banken überfallen soll.
Rösner lehnt ab, fährt mit dem Revolver zurück nach Gladbeck, wo er die Waffe über seine Schwester der Polizei zukommen lässt. Noch ist die letzte Hemmschwelle nicht gefallen. Doch seinen Hafturlaub hat er inzwischen überzogen. Er weiß, was ihn erwartet, wenn er jetzt doch noch wieder zurückkehrt ins Gefängnis. Neue Strafen, noch mehr Jahre hinter Gittern.
Rösner beschließt unterzutauchen. Dieses Mal für immer. Doch dafür braucht er Geld. Viel Geld. Und so startet er eine Serie von Einbrüchen und Raubüberfällen, wie sie das Ruhrgebiet bis dahin noch nicht gesehen hat. Immer dreister. Immer brutaler. Immer hemmungsloser. Bis zu dem blutigen Geiseldrama, in dem er am Ende wegen einer Geiselnahme mit Todesfolge verurteilt wurde.
Den Vater hat Hans-Jürgen Rösner nie wieder gesehen. Der schreibt seinem Sohn während des Prozesses einen Brief. „Einen Brief, wie ihn ein Vater nicht schreiben darf“, sagt Rudolf Esders, Richter am Landgericht Essen, durch dessen Hände die Post des Angeklagten geht. „Auch nicht einem Sohn wie Rösner. Das habe ich ihm auch so gesagt und ihn gefragt, ob er ihn wirklich lesen wolle.“
Rösner hat darüber eine Nacht lang nachgedacht. Dann hat er darauf verzichtet zu lesen, was ihm der Vater geschrieben hat. Den Brief hat der Richter vernichtet.
Zurück zu Kapitel 1 – Der Banküberfall
Zurück zu Kapitel 2 – Flucht durch Deutschland
Zurück zu Kapitel 3 – Eskalation in Bremen
Zurück zu Kapitel 4 – Mord in Grundbergsee
Zurück zu Kapitel 5 – Chaos in Köln
Zurück zu Kapitel 6 – Der Zugriff