Denn auch sieben Stunden nach dem Überfall weiß die Polizei immer noch nicht genau, wer die beiden Männer in der Bank sind. Das Einzige, was sie inzwischen weiß, sind ihre Forderungen: 300.000 Mark Lösegeld für die Geiseln, den Zweitschlüssel für den Tresor, Handschellen, als Fluchtfahrzeug einen BMW 735i und freien Abzug.
Doch statt unterschwellig den nötigen Druck auf die Geiselgangster auszuüben, verfällt Doerks schnell in einen kumpelhaften, ja fast schon unterwürfigen Tonfall. Die Protokolle der Gespräche lesen sich so bizarr wie die Dialoge in einem Schmierentheater.
Die Täter durchschauen sein doppeltes Spiel und werden mit jedem Telefonat noch mehr bestärkt, an ihren Forderungen festzuhalten. Damit verpufft das (vorgetäuschte) Angebot der Staatsanwaltschaft Essen, nur sechs Monate Freiheitsstrafe zu fordern, wenn die Gangster kapitulieren und innerhalb einer Stunde ihre Geiseln freilassen.
Immerhin ein Gutes haben die auf Tonband mitgeschnittenen Gespräche von Kriminalhauptkommissar Doerks: Auf einem der Bänder erkennt eine Zeugin die Stimme eines der Täter. „Das ist Jürgen Rösner, mein Ex-Mann. Und der andere muss sein alter Kumpel Dieter Degowski sein.“
Erst jetzt, es ist 15.12 Uhr, weiß Einsatzleiter Meise, mit wem er es zu tun hat: mit stadtbekannten Kleinkriminellen, für die ein Banküberfall eigentlich mehr als eine Nummer zu groß ist. Erst recht eine Geiselnahme. Doch was nicht in seiner Dienstvorschrift 132 steht, ist, wie mit Tätern zu verfahren ist, die sich plötzlich ihrer Medienwirksamkeit bewusst werden.
In seiner Not und mit Billigung der Gangster hat der Bankkassierer inzwischen die Nachrichtenredaktionen des WDR in Köln und der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ in Essen über die Geiselnahme informiert. Er hofft auf eine schnellere Freilassung durch den öffentlichen Druck auf die Polizei – bringt aber so unbewusst eine Medienlawine ins Rollen, die nicht mehr zu stoppen sein wird.
Seit Stunden klingelt in der Bank nun immer wieder das Telefon. Die Nummer (02034) 24092, über die die Täter und die Geiseln in der Bank zu erreichen sind, hat die Polizei nicht gekappt – in der Hoffnung, dass sich darunter vielleicht Komplizen der Gangster melden. Doch stattdessen rufen Radiostationen aus ganz Deutschland an, wollen Fernsehsender und Zeitungsredaktionen mit den Gangstern und den Geiseln sprechen, um Informationen aus erster Hand zu bekommen. Unter den Anrufern ist auch Hans Meiser, der Anchorman und Nachrichtensprecher des privaten Fernsehsenders RTL in Köln.
Immer mehr verlieren die Journalisten die Distanz. Die Grenze zwischen reiner Berichterstattung und aktivem Eingreifen in das Geschehen verschwimmt. Manche Reporter dienen sich sogar als Handlanger an und fragen, wie sie den Gangstern helfen können. Und mit jedem Telefonat berauschen sich Rösner und Degowski mehr an Ruhm und Macht, die sie plötzlich spüren. Zusätzlich aufgeputscht durch noch mehr Alkohol und Vesparax-Tabletten versteigen sich die beiden in immer wildere Drohungen und prahlen damit, sich notfalls selbst ein „Peng in die Birne“ zu geben.Die Geiselnahme gerät zum Medienspektakel – die Polizei immer mehr unter Druck.
Am frühen Abend dieses 16. August 1988 gibt sie schließlich den Forderungen der Geiselnehmer nach. Wie gewünscht deponiert um 17.32 Uhr ein nur mit einer roten Badehose bekleideter Polizist 300.000 Mark Lösegeld in drei Klarsichttüten vor der Bank. Wie ein Kettenhund muss der Kassierer Reinhold A. auf allen vieren zum Eingang kriechen und das Geld durch den Türspalt ziehen, um den Hals ein Elektrokabel geschnürt, dessen Ende Rösner in der Hand hält. Zusätzlich bedroht Degowski die Geisel Andrea B. mit seinem Revolver.
Das Lösegeld haben die Gangster jetzt. Aber nicht den von ihnen ebenfalls geforderten Zweitschlüssel für den Tresor. Den hat ihnen die Polizei bei der Übergabe unterschlagen. In der Hoffnung, dass sich Rösner und Degowski mit den 300.000 Mark zufriedengeben. Was sie dabei nicht bedacht hat, ist, dass Rösner geradezu besessen davon ist, „einmal im Leben in so einen Tresor schauen zu können“, wie er schon öfters gegenüber seinen Kumpel erzählt hatte. Und so muss die Polizei auch diese Forderung erfüllen und hilflos mitansehen, wie Rösner den Bankkassierer noch einmal zur Tür kriechen lässt, um auch den Schlüssel in Empfang zu nehmen.
Zusätzlich zu den 300.000 Mark erbeuten die Gangster 120.000 Mark aus dem Tresor und noch einmal drei Geldbomben aus dem Nachttresor. Die 870 Mark in der dritten Geldbombe rührt Rösner nicht an. Als er von dem Kassierer erfährt, dass die 870 Mark einem Pommesbuden-Besitzer gehören, will er sich nicht an „diesem armen Schwein“ bereichern.
Nur einmal gelingt es der Polizei an diesem Tag, Rösner und Degowski auszutricksen: Um 20.40 Uhr fährt statt des geforderten BMW 735i ein weitaus langsamerer weißer Audi 100 vor. Die Ausrede, dass die Mietwagenfirma wegen der Urlaubszeit keinen BMW zur Verfügung hätte, akzeptiert Rösner. Dass der Audi mit versteckten Mikrofonen und einem Peilsender präpariert ist, ahnt er aber. Und so sprechen die Gangster kein Wort, als sie sich um 21.47 Uhr, nach 13 Stunden und 47 Minuten in der Bank, mit ihren Geiseln auf die Flucht begeben.
Mit welchem Ziel, weiß zu dieser Stunde nur Rösner selbst…