Aufreizend langsam rollt der Fluchtwagen von der Auffahrt der Bank. Rösner scheint es nicht eilig zu haben. Statt Gladbeck auf schnellstem Weg zu verlassen, narrt er die Fahnder, fährt kreuz und quer. Die Polizei hat den Plan, die Täter mit ausreichend Abstand zu verfolgen. Die Hoffnung: Irgendwann würden sie ihre Geiseln freilassen.

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An Ausfallstraßen und in benachbarten Städten sind Spezialkräfte postiert. Die Polizei lauert auf ihre Chance. Doch Rösner ist unberechenbar. Hunger, Durst und Müdigkeit nagen unter den eng anliegenden Gesichtsmasken immer mehr am Nervenkostüm der Täter. Ihr dringlichster Wunsch: Bier, um die aufputschende Wirkung der Vesparax-Tabletten zu verstärken. An zweiter Stelle: Essen. Und schließlich drittens: ein neuer, unverwanzter Fluchtwagen.

 

 

Nach einigen vergeblichen Versuchen, auf der Kreuz-und-quer-Fahrt durch Gladbeck einen anderen Fluchtwagen zu rauben, stoppen sie an einem Imbiss an der Horster Straße. Die Polizei ist fassungslos: Die ersten Scheine seiner Beute tauscht Rösner gegen Bier, Frikadellen, Pommes und Brathähnchen ein.

Weil die Tabletten zur Neige gehen, lässt sich Rösner in der Gladbecker Barbara-Apotheke 30 Vesparax geben. Beruhigungspillen und Bier – mit diesem Elixier wollen sich die Bankräuber die Nacht über weiter aufputschen. Rösner versucht von einer Telefonzelle aus, seine Freundin Marion Löblich anzurufen, und erreicht sie bei seinem Schwager. Kurz berichtet er ihr vom Geschehen und legt rasch wieder auf. Vor der Gaststätte Berg am Gladbecker Stadtrand will er sich ein neues Fluchtfahrzeug besorgen. Er weiß, dass ein bestimmter Gast hier oft seinen schweren Mercedes abstellt. Doch der Wagen ist nicht da. Ein BMW der 7er-Klasse fällt ihm auf. Mit der Pistole in der Hand betritt er das Lokal: „Der Nikolaus ist da. Wem gehört der dicke BMW vor der Tür?“ Niemand antwortet. Rösner schießt in das Flaschenregal hinter dem Tresen und verlässt die Kneipe. Die Kugel rauscht nur knapp über den Kopf des zufällig anwesenden Waffenhändlers Gerhard M. (35) hinweg. Der gelernte Schweißer hatte vor wenigen Wochen an einen Kumpel von Rösner die beiden Tatwaffen verkauft mit der Bitte, diese nur „in zuverlässige Hände“ zu geben. „Das wär‘ ja ein starkes Stück gewesen, wenn ich mit meiner eigenen Waffe erschossen worden wäre“, gibt M. später zu Protokoll.

Draußen hört Degowski den abgefeuerten Schuss. Sofort lässt er die Geisel B. die Seitenscheibe herunterkurbeln und feuert mit seinem Revolver durch die Fensterscheibe in die Gaststätte. Verletzt wird zwar niemand. Aber spätestens jetzt erkennt Rösner, dass Degowski bei jeder noch so kleinen vermeintlichen Gefahr unvermittelt und ohne Rücksicht auf Verluste schießt.

Wie Rösner seine Hemmungen verlor

Wie Rösner seine Hemmungen verlor

Insgesamt 45 vor der Geiselnahme begangene Straftaten listet die Gerichtsakte Rösner auf. Diebstähle, Einbrüche, bewaffnete Raubüberfälle, für die Rösner nach dem Geiseldrama erst gar nicht mehr angeklagt wird: Mehr als lebenslang mit anschließender Sicherheitsverwahrung wäre juristisch sowieso nicht möglich gewesen.

Rückblick:  Der Banküberfall (Kapitel 1)

Rückblick: Der Banküberfall (Kapitel 1)

Es ist Dienstag, der 16. August 1988, Viertel nach sieben. Die Republik erwacht mit Nachrichten über einen Hormonskandal in deutschen Mastbetrieben und Berichten über den Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Niemand in Deutschland ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass in den nächsten 54 Stunden nur noch ein Thema die Nachrichten beherrschen wird.

Unverrichteter Dinge geht es auf der B224 Richtung Essen weiter. Vor einer Spielhalle parkt ein 3er-BMW. Rösner reißt das Lenkrad scharf nach links und stellt den Audi quer vor den auserkorenen neuen Fluchtwagen. Er steigt aus, hält den beiden Insassen die Pistole vors Gesicht und erpresst so den Autoschlüssel. Der BMW erweist sich jedoch als Reinfall. Er ist alt, der Motor behäbig, und auch ein Radio, um die neuesten Nachrichten verfolgen zu können, fehlt.

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